Dienstag, 7. September 2010

Kann ein Krawallmacher ein "Geschichtszeichen" setzen?

“Es gibt sehr viele Parallelgesellschaften in Deutschland, beispielsweise die Politiker, die meines Erachtens auch in einer Parallelgesellschaft leben. … Sie sind doch auch meiner Meinung, Herr Wowereit, daß man Kenntnisse über Deutschland nicht über Herumschlendern finden kann. Und man kann eben leider Gottes auch die Diskussion, um die es hier geht, die ja offensichtlich Millionen Menschen brennend interessiert, nicht lösen, in dem man Einzelpersonen vorführt, die wunderbar integriert sind - hübsch, intelligent und toll sind - sondern es geht schon um Strukturprobleme. Diese Strukturprobleme sind offenbar so gravierend, daß wir es im Moment mit einer Situation zu tun haben, dass fast die Mehrheit der Bevölkerung dankbar dafür ist, daß ein Krawallmacher - nennen wir ihn ruhig einen Krawallmacher - endlich einmal Tabus durchstößt, Formulierungen wagt, die bei uns wirklich verboten sind. Wir leben weit entfernt von Meinungsfreiheit, und ich halte es für den größten Witz der Diskussion, daß man immer wieder sagt ‘Wer hätte denn mehr Meinungsfreiheit als Sarrazin gehabt’. Das ist lächerlich. Zur Meinungsfreiheit gehört fundamental der Respekt vor Andersdenkenden. Und ich sehe nirgendwo auch nur den Ansatzpunkt von Respekt vor dem, was die, die nicht politisch korrekt denken, sagen und veröffentlichen. Und das fehlt unserer Diskussion dringend. Die Leute draußen merken das, und ich kann es ihnen voraussagen - es werden immer mehr. Ich bin fest davon überzeugt, daß dieses Buch eine Art Geschichtszeichen ist, nicht weil es so eine hohe Qualität hat, sondern weil es eine Auslöserfunktion hat. Die Leute lassen sich nicht länger für dumm verkaufen. Und sie lassen sich nicht länger zum Schweigen bringen. Das hat Sarrazin auf jeden Fall erreicht. Ob das geschickt war, ob das rassistisch war spielt keine Rolle. Das Entscheidende ist, daß die Leute nicht mehr bereit sind, sich von der politischen Klasse und von besonders arroganten neuen Jakobinern, auch in den Feuilletons, den Mund verbieten zu lassen. Und das ist ein riesengroßer Gewinn für unsere Gesellschaft.” 


Der Medienforscher Norbert Bolz am 5.9.2010 bei "Anne Will" in der ARD

1 Kommentar:

  1. schwierig so etwas hier unkommentiert zu posten. das wirft fragen auf...

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