Fatima Roschan gewidmet
Wenn ich mich für einen Gott entscheiden müsste,
dem ich ergeben diene,
dann wäre es der meiner Großmutter.
Der, den sie beauftragte,
mich auf all meinen Wegen zu begleiten,
mich stets und überall zu schützen
und mir wohlwollende Menschen zu schicken.
Der wäre auch mein Gott.
Vieles habe ich in meinem Leben schon angebetet,
Götzen,
Machthaber,
das Feuer,
auch mal eine Frau,
und dann wieder gab es Zeiten, da glaubte ich
an nichts.
Schließlich aber kniete ich nieder,
denn Großmutter sagte:
„Besser du legst dein Schicksal Gott
als einem Menschen in die Hand.“
Ihr Gott ist auch der meine.
Sie,
die mir süße Granatäpfel servierte
und mir einschärfte,
ja nichts davon fallen zu lassen,
weil Gott in jede dieser Früchte
einen Samen aus dem Paradies gesteckt hat.
Als mein Onkel Großvaters sterbliche Überreste
in einen durchsichtigen Plastiksack legte,
sah ich
einen Schädel, kaum größer als der eines Kindes,
und ein paar zerbrochene schwarze Knochen.
Auf sein Motorrad geladen,
brachte mein Onkel ihn
vom östlichen Friedhof,
wo jetzt der Bahnhof steht,
zu seiner neuen Ruhestätte
im Schatten der Maghrebi-Moschee.
Großmutter sagte:
„Es war dem Guten, Gott habe ihn selig, vorbestimmt,
auf dem Motorrad spazieren gefahren zu werden.“
Der, der dir ins Ohr brüllt,
dass beten löblicher ist als schlafen
- als schlafen, wohlgemerkt -
und dich dann weiterträumen lässt.
Der, der dir vergibt,
wenn du Reue zeigst.
Selbst wenn du ein- und zwei- und dreimal sündigst,
selbst wenn du es dein Leben lang tust,
selbst wenn du erst im allerletzten Moment
um Gnade bittest,
wo dir für weitere Fehltritte
ohnehin keine Zeit mehr bleibt.
Der, der die Welt erschuf,
obwohl er sie nicht braucht,
und dennoch all ihre Sünden auf sich nimmt.
Der, der uns erschuf,
einzig und allein
der Liebe wegen.
Und der als Liebender
von uns verlangt,
dass wir keinen lieben neben ihm.
Der, dessen Buch Großmutter in der Hand haltend,
Verse aus dem Gedächtnis vor sich hinmurmelte,
während sie wahllos die Seiten umblätterte.
Er hörte ihr trotzdem zu, verstand und freute sich.
„Großmutter,“ fragte ich,
„wusstest du, dass der Mensch
zu zwei Dritteln aus Wasser besteht?“
„Nein“, sagte sie,
„der Mensch besteht zu zwei Dritteln
aus Tränen.“
Monzer Masri (arabischer Dichter und Maler, *1949, Latakia, Syrien
Aus dem Arabischen von Mahmoud Tawfik und Leila Chammaa
Wie oft habe ich schon in Gesprächen von der Bedeutung der Großmütter für den
eigenen Glauben gehört. Es scheint sich um ein interreligiöses Phänomen zu
handeln.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen