Am ersten Abend lässt man sich noch gerne beeindrucken vom raumgreifenden Streicherklang des Orchesters. Doch spätestens am zweiten Abend fällt unangenehm auf, dass hier etwas mit der Klangbalance nicht stimmt. Die Holzbläser werden vom sahnigen Sound der Saiteninstrumente nämlich konsequent untergebuttert. Vor allem die ersten Violinen machen unmissverständlich klar, warum sie in Österreich Primgeiger genannt werden. Sie drängen sich konsequent in den Vordergrund, selbst dann, wenn sie nur Begleitfiguren zu spielen haben. Kollegial ist das nicht. Und meilenweit entfernt vom Ideal des Aufeinander-Hörens, das die Berliner Philharmoniker seit der Ära Claudio Abbados pflegen.
Dass sich am Ende eines solchen Zyklus’ Erschöpfung breitmacht, dass Hörner kieksen oder ein Streichereinsatz mal schlierig klingt – geschenkt. Doch was ihre geistige Grundhaltung betrifft, müssen die Wiener Philharmoniker höllisch aufpassen, nicht ins Museale abzugleiten. In Berlin gibt es mindestens drei Orchester, die derzeit spannender klingen: Das DSO ist in seinen besten Momenten präziser im Zusammenspiel, die Staatskapelle im Tutti ausgewogener, und Simon Rattles Orchester deutlich wendiger, wacher, stilistisch flexibler.
Die Wiener musizieren, wie sich ihre Heimatstadt anfühlt: im Gestern gefangen. Nun ist es ja nicht so, dass die kollektive K.u.k-Nostalgie keinen Charme hätte. Vier Konzerte lang lässt sich ein Klang aus fernen Zeiten durchaus mal genießen in der Philharmonie – mit der Gewissheit, dass ab Donnerstag hier wieder die Heim-Mannschaft aufspielt. Nach allen Regeln der new school."Aus: Frederik Hanssen, Heldengeschichten aus dem Wiener Wald, Kritik des Berliner Beethovenzyklus der Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann im "Tagesspiegel"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen