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Es geht uns zunehmend gar nicht mehr ums Leben selbst, sondern um Wohlbefinden. Das oberste Gesetz unserer Gesellschaft ist heute: Wohlbefinden vermehren, Leiden vermeiden. Aber wenn dies unser oberstes Prinzip ist, hat das ganz brutale Folgen. Und sie betreffen nicht nur unseren Umgang mit Embryonen, sondern auch mit dem Thema Sterbehilfe. In Holland werden heute schon Leute ohne ihre Zustimmung zu Tode befördert. Man muss sich klar machen, in welche Richtung sich das entwickeln kann. Goebbels hat damals sein Euthanasieprogramm mit „Ich klage an“ vorbereitet, einem Film, der übrigens nur mit Mitleid operiert: Eine kranke Frau bittet darum getötet zu werden und ihr barmherziger Mann tut das schließlich. Am Ende wird er vor Gericht angeklagt, der Sinn des Filmes war es, das Gesetz anzuprangern, das Sterbehilfe unter Strafe stellt. Goebbels wollte damit freie Bahn für die Massentötung schaffen. Aber es begann mit dem hedonistischen Argument, mit Mitleid. Für uns ist der Sinn des Lebens heute, Träger angenehmer Gefühle zu sein. Wenn es das nicht mehr ist, dann hat es zu verschwinden. Man versucht dem Leidenden zu helfen, aber wenn das nicht mehr gelingt, dann beseitigt man ihn.
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An den Rändern des Lebens [...] kann es passieren, dass das Ziel des maximalen Wohlbefindens nicht mehr erreichbar ist. Dass das Leben als Träger freudiger Gefühle nicht mehr funktioniert, egal was man tut. Aber genau an diesem Punkt erweist sich eben, ob man begriffen hat, was die Würde des Menschen heißt.
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Kant sagt ganz richtig: Der Mensch hat keinen Wert, sondern eine Würde. Werte sind gegeneinander abwägbar, die Würde nicht. Darum kann man sagen: Die Grundrechte konkurrieren gelegentlich miteinander, dann muss man sie gegeneinander abwägen. Wissenschaftsfreiheit impliziert zum Beispiel nicht das Recht, fremdes Leben zu verwerten und zu vernichten. Aber die Würde des Menschen selbst lässt sich mit nichts anderem abwägen. Überhaupt wird bei uns viel zu viel von Werten geredet. Da braucht nur jemand mit einem anderen Wertesystem kommen, und schon können wir uns die Ganzen Überlegungen sparen. "
Der Philosoph Robert Spaemann in einem Interview mit der Zeitschrift "Cicero"
Die verhallende Stimme eines alten Mannes von gestern, so kommt es mir vor. Die Zeit geht darüber hinweg - oder ist es schon, aber das ist nicht zum Guten.
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